Heute hieß es wieder: rauf aufs Rad und weiter Richtung Süden! Um 5 Uhr waren wir bereits wach – besser gesagt.. ich… - deutlich vor dem Wecker. Nach drei Nächten in unserer kleinen Schlafkapsel, ohne Fenster, mit unserer stickenden Wäscheluft, nur einer Matratze am Boden, keine Heizung und null Bewegungsfreiheit, war ich ehrlich gesagt heilfroh, dass es weiterging. An Tag eins war das noch ganz toll, aber nach fast 72 Stunden in dieser Kapsel konnte ich es kaum erwarten, sie zu verlassen. Bzw. Endlich wieder einmal aufstehen zu können im Schlafzimmer. Ich versuchte noch, leise meine Sachen zu packen, aber so groß war der Raum nicht, dass Kosi davon nicht wach wurde. Also standen wir gemeinsam auf (eine Stunde früher als geplant), machten uns fertig, packten unsere Rucksäcke, schnallten alles an die Räder – und los ging’s.
Die erste Etappe führte uns noch einmal am halben Sonne-Mond-See entlang bis nach Shuishe. Die Morgensonne spiegelte sich gerade über dem Wasser – ein wirklich wunderschöner Anblick. Nach der ersten kleinen Bergetappe meldete sich auch schon der Hunger, also gönnten wir uns ein Frühstück im Starbucks – dem einzigen geöffneten Lokal in Shuishe zu dieser Uhrzeit. Kosi holte sich zusätzlich noch eine warme Kartoffel aus dem Supermarkt, während ich mich mit Joghurt und einem Matcha Latte zufrieden gab. Auf der Terrasse mit Blick auf den See zu frühstücken war ein perfekter Start in den Tag. Wären da nicht noch knapp 90 Kilometer vor uns gewesen.
Wir blieben also nicht allzu lange sitzen, sondern machten uns bald wieder auf den Weg. Die Route war wie so oft ein ständiges Auf und Ab, aber irgendwie fühlte sich das Fahren heute angenehmer an. Vielleicht, weil wir mittlerweile schon richtig eingespielt sind. Nur zwei Mal verirrten wir uns – einmal leider direkt bei einer Abfahrt. Erst als wir fast unten waren, fiel mir auf, dass wir gar nicht hätten abbiegen sollen. Also wieder rauf. Kosi wollte schon losmeckern, aber er wusste: das kann er sich nicht leisten. Ich hatte heute nämlich auch noch Gepäck von ihm übernommen, weil seine Taschen schon überfüllt waren – das heißt, ich trat nicht nur für mich, sondern mit Extralast. Außerdem konnte er seit Tag 1 in meinem Windschatten fahren ;).
Unsere Strecke führte uns durch verschiedenste Landschaften: vorbei an Reisfeldern, kleinen Tempeln, hupenden Mopeds, wieder unendlich viele Ampeln. Wir passierten mehrere Dörfer wie Shuili, Zhushan, Douliu und Dalin – Orte, die nicht unbedingt touristisch, aber dafür umso authentischer wirken. Shuili ist bekannt als Tor zum Alishan-Gebirge und ein typisches taiwanesisches Städtchen mit viel Charme. In Douliu wiederum, Hauptstadt des Yunlin-Distrikts, spürt man schon etwas mehr urbanen Flair. Viel Zeit zum Erkunden blieb uns aber nicht – wir wollten nicht zu spät ankommen. Zum ersten Mal seit unserer Reise durch Taiwan sahen wir jedoch ein paar armen Viertel. Heruntergekommene Hütten, viel Müll und grausamer Gestank. Es waren bei Weitem nicht so viele, wie auf den Philippinen oder in Indonesien, aber hier passten auch die zwei - drei, die wir sahen, nicht zum restlichen Anblick des Landes.
Nach 50 Kilometern machten wir unsere erste richtige Pause – Supermarkt-Stop für Wasser, Schokolade und Sonnencreme. Die Temperatur war inzwischen auf 24 Grad geklettert und die Sonne brannte ordentlich. Von den anfänglichen 11 Grad war nichts mehr übrig. Während der Fahrt merkt man die Hitze zwar weniger, aber an jeder roten Ampel spürt man sie plötzlich umso stärker. Also: Einschmieren!
Bei Kilometer 80 entdeckten wir – wie gerufen – noch einen Starbucks. Also entschieden wir uns für eine längere Kaffeepause, zum Durchschnaufen. Wir kamen heute erstaunlich gut voran, das Fahren machte richtig Spaß, und wir lagen super in der Zeit. So sehr, dass wir wussten: selbst wenn wir gemütlich weiterfahren, kommen wir zu früh fürs Einchecken in der Unterkunft an. Also tranken wir unseren Kaffee in Ruhe in der Sonne.
Nach einer halben Stunde ging’s weiter – die letzten Kilometer nach Chiayi. Meine Uhr lotste uns zum Hotel und als wir davorstanden, dachten wir beide gleichzeitig: „Das kann nicht unser Hotel sein!“ Viel zu schick, viel zu neu, viel zu… wow. Wir wurden gleich von einem Mitarbeiter empfangen, der uns half, die Räder sicher abzustellen und unser Gepäck ins Gebäude trug. Während er mit unseren Rädern und Gepäck beschäftigt war, spekulierten wir weiterhin, ob wir überhaupt richtig waren. Den Hotelnamen kannten wir nicht - er bestand aus chinesischen Zeichen. Die ganze Zeit über dachten wir nur: wenn das nicht unser Hotel ist, dann wirds peinlich für uns. Ungläubig standen wir an der Rezeption. Doch tatsächlich: es war unser Hotel. Und es kam noch besser – wir bekamen ein kostenloses Upgrade, weil unser ursprünglich gebuchtes Zimmer nicht mehr verfügbar war. “Falls es für uns in Ordnung sei?” Fragte die Dame an der Rezeption. Naja, blöde Frage - natürlich doch! Wer sagt denn schon nein zu so etwas?
Unser neues Zimmer war riesig. Zwei Doppelbetten, eine Badewanne, ein moderner Wohnbereich – und vor allem: Platz! Nach den letzten Nächten in der Kapsel fühlte sich dieses Zimmer an wie ein Palast. Zwar ohne Fenster, aber das störte uns nicht im Geringsten. Unsere verschwitzten Radsachen verteilten wir einfach überall zum Trocknen – was für ein Luxus.
Und vermutlich ist es ein ganz normales Zimmer, nichts berauschendes… doch nach so vielen komischen Schlafplätzen und dreckigen Unterkünften, da sind wir so viel Luxus gar nicht mehr gewohnt.
Abends gingen wir noch in die Stadt, denn unser Magen knurrte. Die Suche nach vegetarischem Essen war wie so oft eine kleine Herausforderung. An den Straßenständen gab es keine englischen Karten und auf meine Nachfrage nach etwas ohne Fleisch bekam ich meist nur ein schlichtes „No“ zu hören. Gerade als wir schon fast aufgeben wollten, entdeckten wir eine ältere Dame, die auf einer heißen Platte Roti mit Lauch und Ei briet. Wir bestellten sofort zwei – als Erste-Hilfe-Mahlzeit. Nach weiterem Herumirren fanden wir dann noch ein vegetarisches Lokal und gönnten uns zwei Burger mit Pommes. Danach gab’s noch ein Eis aus dem Supermarkt – verdient ist verdient.
Zurück im Hotel entdeckte Kosi den Fitnessraum. Natürlich kam von ihm gleich der Vorschlag: „Wir ruhen uns kurz aus und gehen dann Oberkörper trainieren. Der wird beim Radfahren eh zu sehr vernachlässigt.“
Und ja, ich dachte mir genau das, was ihr euch jetzt wahrscheinlich denkt: Er spinnt doch! Aber eine Stunde später standen wir tatsächlich im Fitnessraum. Ich machte ein paar Übungen und dehnte, während Kosi – wie könnte es anders sein – alles gab.
Ich ließ ihn dann dort und gönnte mir stattdessen ein Bad. Und ich sag’s euch: das war pure Erholung. Mein Hals, der die letzten Tage etwas gereizt war, fühlte sich auch schon besser an – die trockene Luft und der ständige Wind hatten sich nämlich doch bemerkbar gemacht.
Während Kosi später ebenfalls in der Wanne entspannte, telefonierte ich mit Nina 3 und Valli – ein bisschen quatschen, ein bisschen runterkommen.
Jetzt sind wir beide ziemlich müde. Die nächsten zwei Tage werden wieder etwas gemütlicher und die Distanzen kürzer.
Unsere heutige Etappe in Zahlen:
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101,99 Kilometer
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1.945 Höhenmeter
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19,6 km/h Durchschnittsgeschwindigkeit
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5 Stunden 12 Minuten Fahrzeit
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7 Stunden 15 Minuten insgesamt unterwegs
Bussi Baba,
Kosanni
PS: Austrian Eiscreme hat übrigens wirklich überrascht – klare Empfehlung!
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